GÄSTEBUCH

 

Von Rom bis Neapel

Martins Marathon

Eine etwas andere Erfahrung

 

Eine etwas andere Erfahrung

(eine Erfahrung, die diesmal nichts mit Laufen und Marathon zu tun hat, aber trotzdem lesenswert ist :-))

Besuch im Junkie Bund Café Köln

„Ein Altenheim für Junkies“, fordert Hartmut (50). Hartmut war selber einer, über 16 Jahre lang hat er sich Heroin in die Venen gespritzt und das Leben eines Junkies geführt. Mittlerweile ist er Heroinsubstituierter und Mitarbeiter im Junkie Bund Café Köln . Hier führt er Gespräche mit Heroinabhängigen und hilft Betroffenen wieder zurück ins „normale“ Leben zu finden.

Es ist kurz vor zehn Uhr. Langsam nähere ich mich dem Junkie Bund Café. Von außen sieht das Gebäude unscheinbar aus, ähnlich wie ein großer Baustellencontainer, quadratisch, ebenerdig, Drumherum ein bisschen Wiese, gepflegt. Weit und breit noch keine Junkies zusehen. Ich öffne die Tür, bin nervös, denn gleich werde ich in eine für mich noch unbekannte Welt eintauchen. Frischer Kaffeeduft schwebt durch die Luft, der von guter Musik aus dem Radio begleitet wird. Noch ist fast kein Besucher hier, lediglich die Mitarbeiter, die alles vorbereiten. Spritzbesteck wird bereit gelegt und in der Küche werden schon fleißig Kartoffeln und Wirsing für das Mittagessen geschält. Eigentlich sieht es hier aus, wie in einem herkömmlichen Kölner Café. Eckige Holztische, Polsterstühlen mit bunten Tischdecken und Aschenbecher bilden den Mittelpunkt des Cafés. Hier darf noch geraucht werden, sowieso macht es den Eindruck, als gäbe es hier keine Regeln und Verbote. Lediglich die Hausordnung gibt vor, dass weder Dealer hier zutritt haben und dass auch kein Konsum von illegaler Drogen stattfinden darf. Sonst ist jeder hier herzlich Willkommen, ob Junkie oder Nichtjunkie oder Substituierter, dieser Ort ist für jeden zugänglich. Hier setzt man sich an den Tisch, vielleicht döst man noch ein bisschen vor sich hin, weil die letzte Nacht wieder hart und kalt war, oder man trinkt einen warmen Kaffe, genießt die Wärme und Geborgenheit. Manche Junkies sind auch noch völlig breit und benebelt vom letzten Schuss, andere sind auf Entzug und torkeln nervös durch den Raum. Die meisten kommen aber her, um ihre alten gebrauchten Spritzen gegen neue einzutauschen, umsonst natürlich. Nebenbei können sie eine warme Mahlzeit für wenig Geld einnehmen. Oft ist es die einzige Mahlzeit am Tag, denn das restliche zur Verfügung stehende Geld wird gespart und für den nächsten Druck zurückgehalten. An manchen Tagen kommen sie nur zum Spritzentausch, wenn das Geld besonders knapp ist, denn der nächste Druck hat Priorität. Auf Essen kann gut verzichtet werden, manchmal sogar Tage, doch auf den nächsten Druck nicht. .Es ist ein teures Hobby, ein Gramm kostet etwa 40-50 Euro und damit kommt man oft nur den Vormittag mit aus. Dabei ist der Stoff noch nicht mal rein, heutzutage hat Straßenheroin ein Reinheitsgehalt von höchstens 10-15%, der Rest besteht aus Tablettenresten oder auch Backpulver und Zuckerarten der Marke Edelweiß. Anders war es in den 80er Jahren, da war es zum einen viel teurer, ein Gramm konnte bis zu 500 DM kosten, dafür war es aber reiner.

Ich spüre eine angenehme Wärme und meine Anspannung legt sich schnell. Der Kaffee ist heiß und schmeckt für 25 Cent echt köstlich. Marco, der Geschäftsführer des Vereins, begrüßt mich und setzt sich zu mir. Hartmut kommt auch dazu. Marco ist auch ein Ex-Junkie, eigentlich sind fast alle Mitarbeiter Ex-Junkies oder auch immer noch heroinabhängig bzw. Substituierte. Die Arbeitsweise und das Selbstverständnis des Vereins sind größtenteils gegeben durch die Selbsthilfe. Die meisten Besucher sind Mitglied und Teil des Vereins, helfen anderen und vor allem sich selbst. Es gibt Arbeits- und Projektgruppen, die z.B. das Mittagessen zubereiten, das Essen ausgeben und den Abwasch machen. Andere sind für anfallende Reparaturen zuständig, etwa, wenn ein Stuhl oder Tisch kaputt ist, oder wenn noch mal ein neuer Farbanstrich nötig ist. Hauptsache etwas tun, Hauptsache Ablenkung und die harte Zeit auf der Strasse für ein paar Stunden vergessen. Auch das Freizeitprogramm wird gestaltet und geplant, denn nächsten Mittwoch steht wieder ein Kegelabend auf dem Programm. Aber es wird auch einfach nur gequatscht und Erfahrungen und Erlebnisse ausgetauscht. Alles, damit die Wiedereingliederung der Drogenkonsumierenden ins „normale“ Leben leichter fällt. „Das Verständnis ist ein anderes, wenn es Dich selber trifft“, so Marco. Marco hat auch jahrelange Erfahrungen mit der Droge Heroin gesammelt. Bei ihm fing alles ganz harmlos an und ist erst zum Schluss seiner Drogenkarriere eskaliert. Früher als Jugendlicher hat er alles mal ausprobieren wollen. Den Mythos, dass man unmittelbar nach dem ersten Konsum von Drogen abhängig ist, wollte er nicht glauben und selber testen. Der Selbsttest bestätigte ihn, denn er war nicht nach dem ersten Schuss süchtig. Er war auch nicht nach dem zweiten und dritten und vierten Schuss süchtig, doch eines Tages wachte er auf und war auf Turkey. Turkey, bedeutet Entzug, der Körper verlangt nach dem nächsten Druck. Schweißgebadet und mit Grippeähnlichen Symptomen lag er im Bett und wusste: Jetzt bin ich abhängig. „Menschen mit Grippe gehen zum Arzt und Menschen auf Entzug gehen zum Bahnhof und besorgen sich den nächsten Druck, so einfach ist das.“ Den ersten und letzten richtigen Entzug erlebte Marco im Knast, dort war er wegen Konsumdelikten. Im Knast bekommt man auch Drogen, sogar Heroin. Jedoch ist die Frage zu welcher Zeit, die Zeit die man ohne auskommen muss, ist man auf Turkey. Spritzbesteck gibt es auch im Knast, alles natürlich illegal, und wenn mal keins zur Hand ist, dann wird aus einer selbstgeschnittenen Kugelschreibermiene eins gebastelt. Marco ist nun Substituierter, d.h. er nimmt Methadon um seine Entzugserscheinungen bzw. sein eingeprägtes Verlangen auszuschalten. Heroinabhängige brauchen mehr als doppelt solange, wie sie konsumiert haben, um wieder davon los zu kommen. Hartmut hat schon mehrere Entzüge hinter sich. Der erste Entzug ist noch der Harmloseste, die Auswirkungen sind unkontrollierter Durchfall und Erbrechen, starkes Schwitzen mit kalter, feuchter Haut, Schüttelfrost und Hitzewallungen und so weiter. Doch das schlimmste sind die starken Entzugsschmerzen, die nicht zu erklären sind. Die Angst den Schritt zum Entzug zu wagen steigt nach jedem gescheiterten Versuch.

Langsam füllt es sich im Café. Ich werde von jedem ausführlich gemustert und gescannt. Doch man kennt sich in der Szene, man wird erkannt, wenn man dazu gehört und wenn nicht. Die Körperhaltung ist eine andere, der Gesichtsausdruck ist angespannter, die Pupillen sind oft stecknadelgroß und die Kommunikation untereinander ist eine andere. Die Junkies kennen sich untereinander. Wie eine große Familie sitzen sie gemeinsam am Tisch, trinken Kaffee, reden über das Hier und Jetzt. Es ist eine angenehme Atmosphäre, eine andere als in einem herkömmlichen Café. Das Mittagessen geht über den Tresen. Karl, ein Junkie, freut sich über das große Kotelett auf seinem Teller. Bald ist jeder Tisch besetzt. Beinahe 30 Junkies essen hier gemeinsam zu Mittag. Das Durchschnittsalter liegt bei 30-35 Jahren, aber auch ältere sind hier. In den 80er Jahren lag die Lebensdauer der Heroinabhängigen bei 35 Jahren, die Substituierten wurden meist nicht älter als 40 oder manchmal auch 50 Jahre. Heute ist das anders, heute kann man als Substituierter richtig alt werden. Doch was geschieht mit den alten, mit den Junkiesenioren? Ein Altersheim für Junkies muss es geben, denn sie sind früher pflegebedürftig und brauchen genauso wie auch andere Senioren, einen Platz, wo sie einen angenehmen Lebensabend erleben können und untereinander ihre Lebenserfahrungen austauschen können. Es ist kurz nach Mittag, langsam heißt es Abschied nehmen und wieder in meine Welt zurückkehren. Doch ich bleibe, trinke noch einen Kaffee und unterhalte mich mit den Junkies. Wie ein Magnet hält mich die Atmosphäre fest und fasziniert mich. Faszination, weil der nette und unbeschwerte Umgang untereinander, das Selbstverständnis untereinander, selten in dieser Form zu finden ist, schon gar nicht in einem herkömmlichen Café. Auch wenn ich nicht dazugehöre und auch nicht dazugehören will, ist es eine Welt, eine Szene, die Beachtung und Akzeptanz verdient. Ich mache noch ein Foto, mache noch einen Rundgang, bevor Karl mir auf die Schulter tippt: „Du kannst dein Handy nicht auf dem Tresen einfach so liegen lassen, das nehm ich sonst mit für den nächsten Druck.“ In einem herkömmlichen Cafè hätte das nie jemand gesagt, sondern tatsächlich einfach mitgenommen.

 

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